Ablehnung GEAS-Reform

KV-Beschluss vom 23. Juni 2023:

Der Regens­bur­ger Stadt­ver­band von Bünd­nis 90/Die Grü­nen lehnt die unter der Füh­rung der Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser und Grü­ner Regie­rungs­be­tei­li­gung beschlos­se­ne GEAS-Reform ab. Sie wider­spricht grund­le­gen­den rechts­staat­li­chen Prin­zi­pi­en sowie völ­ker- und men­schen­recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen und nicht zuletzt den Ver­ein­ba­run­gen im Koali­ti­ons­ver­trag. Außer­dem steht sie dem Grü­nen Bun­des­tags­wahl­pro­gramm aus dem Jahr 2021 dia­men­tral ent­ge­gen, in dem vor­ge­zo­ge­ne Asyl­ver­fah­rens­prü­fun­gen an den Außen­gren­zen, men­schen­un­wür­di­ge Lager, geschlos­se­ne Ein­rich­tun­gen und Tran­sit­zo­nen aus­drück­lich genannt und abge­lehnt wur­den. Wir ver­ken­nen nicht die Schwie­rig­kei­ten der Ver­hand­lun­gen ange­sichts der unter­schied­li­chen, teil­wei­se gegen­sätz­li­chen Inter­es­sens­la­gen der Mit­glied­staa­ten. Den­noch darf eine Eini­gung nicht um jeden Preis erfol­gen, unse­re gemein­sa­men euro­päi­schen Wer­te, ins­be­son­de­re die Men­schen­rech­te dür­fen nicht zur Dis­po­si­ti­on gestellt werden.

Die Aus­wei­tung siche­rer Dritt­staa­ten, schlech­te­rer Rechts­schutz, ver­pflich­ten­de Grenz­ver­fah­ren in Haft­la­gern – auch für Fami­li­en mit Kin­dern – und eine mas­si­ve Ver­schär­fung des geschei­ter­ten Dub­lin-Sys­tems sind nur eini­ge der Rechts­ver­schär­fun­gen, die in der Reform des Asyl­sys­tems ange­legt sind. Mit­glied­staa­ten wer­den teil­wei­se zur Inhaf­tie­rung von Schutz­su­chen­den ver­pflich­tet und erhal­ten zusätz­lich mas­si­ve Mög­lich­kei­ten zu Asyl­rechts­ver­schär­fun­gen auf natio­na­ler Ebe­ne. Damit führt die­ser Vor­schlag des Rates zu einer mas­si­ven Ver­schär­fung der Asyl­po­li­tik, das Leid der Geflüch­te­ten an den euro­päi­schen Außen­gren­zen wird nicht been­det, son­dern ausgeweitet.

Abschot­tung und Abschre­ckung sind der Preis für einen so genann­ten Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus, der sei­nen Namen nicht ver­dient. Eine ver­bind­li­che Ver­tei­lung von Schutz­su­chen­den fin­det in die­sem Mecha­nis­mus nicht statt, die Ver­tei­lung erfolgt wei­ter­hin auf frei­wil­li­ger Basis. Somit gibt es hier kei­ne Ver­bes­se­run­gen. Statt­des­sen haben die ein­zel­nen Mit­glieds­staa­ten die Mög­lich­keit, sich von einer Auf­nah­me frei­zu­kau­fen. Es besteht die Gefahr, dass die­se Finanz­mit­tel nicht den auf­nah­me­wil­li­gen Län­dern oder den stark betrof­fe­nen Staa­ten an den euro­päi­schen Außen­gren­zen zugu­te­kom­men, son­dern in migra­ti­ons­ver­hin­dern­de Maß­nah­men in Dritt­staa­ten inves­tiert wer­den kön­nen. So sind bei­spiels­wei­se deut­lich mehr Zah­lun­gen an die liby­sche Küs­ten­wa­che zu befürch­ten, die Geflüch­te­te im Mit­tel­meer abfängt und in men­schen­un­wür­di­ge Gefäng­nis­se sperrt und für kras­se Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen wie Fol­ter und Men­schen­han­del ver­ant­wort­lich ist.

Die nun getrof­fe­ne Rege­lung sieht unter ande­rem vor, dass Schutz­su­chen­de unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen grund­sätz­lich in Haft­la­ger gebracht wer­den. Dies gilt auch für Fami­li­en mit Kin­dern und kann auch Geflüch­te­te aus Syri­en und Afgha­ni­stan betref­fen. Dies ist mit einer men­schen­rechts­ori­en­tier­ten und rechts­staat­li­chen Flücht­lings­po­li­tik nicht ver­ein­bar. Auch die Auf­wei­chung der Dritt­staa­ten­re­ge­lung leh­nen wir ab. So müss­ten in den “siche­ren” Dritt­staa­ten nicht mehr alle Per­so­nen­grup­pen sicher sein und auch ein­zel­ne als sicher gel­ten­de Gebie­te wür­den aus­rei­chen, um als das Land sicher ein­stu­fen zu kön­nen. Auch die Umset­zung der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on soll dann kei­ne Vor­aus­set­zung mehr für die Aner­ken­nung sein. Die­ses Zuge­ständ­nis an die Haupt­an­kunfts­län­der ist für uns nicht trag­bar. So kön­nen unter die­ser Prä­mis­se auch die Tür­kei, die Maghreb-Staa­ten, West­li­by­en oder Ägyp­ten als siche­re Dritt­staa­ten dekla­riert und Schutz­su­chen­de in die­se Staa­ten zurück­ge­scho­ben wer­den, obwohl in vie­len die­ser Staa­ten Migrant*innen struk­tu­rell dis­kri­mi­niert, Min­der­hei­ten ver­folgt oder Oppo­si­tio­nel­le ein­ge­sperrt wer­den. Für sie alle sind die­se Län­der alles ande­re als „sicher“. Eben­so leh­nen wir die Rege­lung zum soge­nann­ten Ver­bin­dungs­ele­ment in der vor­lie­gen­den Form ab. Damit kön­nen Schutz­su­chen­de in Staa­ten abge­scho­ben wer­den, wenn ein wei­te­res Fami­li­en­mit­glied dort bereits lebt. Zwar ist es in die­ser Gemenge­la­ge grund­sätz­lich posi­tiv zu bewer­ten, dass unbe­glei­te­te min­der­jäh­ri­ge Geflüch­te­te nicht in die Haft­la­ger kom­men, durch die feh­len­de Aus­nah­me für Fami­li­en mit Kin­dern, besteht aber die Gefahr, dass fal­sche Anrei­ze gesetzt wer­den, Kin­der und Jugend­li­che ohne Beglei­tung auf die gefähr­li­chen Flucht­rou­ten zu schi­cken. Eben­so ist es unver­ständ­lich, dass Fami­li­en mit Kin­dern und, durch das Erleb­te vor und auf der Flucht, bereits viel­fach trau­ma­ti­sier­te Men­schen in Lager gesperrt wer­den sol­len, wo auf ihre indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se kaum ein­ge­gan­gen wer­den kann und eine wei­te­re Trau­ma­ti­sie­rung befürch­tet wer­den muss. So bleibt in der prak­ti­schen Umset­zung des Reform­vor­schlags vor allem eine mas­si­ve Beschnei­dung des Asyl­rechts übrig, die vor allem das Ziel ver­folgt, dass weni­ger Men­schen, den nach Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on garan­tier­ten Zugang zu fai­ren Asyl­ver­fah­ren haben. Dies wird die Schutz­su­chen­den aber kaum von der Flucht abhal­ten, son­dern ledig­lich zu noch gefähr­li­che­ren Bedin­gun­gen, mehr Leid und noch mehr Toten führen.

Wel­che Aus­wir­kun­gen die euro­päi­sche Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung auf unse­re natio­na­len Asyl­ge­set­ze hat, ist der­zeit unge­klärt. Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um hat bis­her kei­ne Fol­gen­ab­schät­zung vor­ge­legt, aus der her­vor­geht, was das für die deut­sche Rechts­la­ge bedeutet.

Mit Blick auf den Koali­ti­ons­ver­trag, in dem das Kon­zept der AnkER-Zen­tren abge­lehnt wird, for­dern wir, dass nicht das­sel­be men­schen­ver­ach­ten­de Kon­zept der Inter­nie­rungs­la­ger an den euro­päi­schen Außen­gren­zen ein­ge­führt wird.

Im Gegen­teil tre­ten wir für die Abschaf­fung die­ser Zen­tren in Bay­ern ein und for­dern für die Kom­mu­nen ein Sofort­hil­fe­pro­gramm für die Unter­brin­gung und Ver­sor­gung von Geflüch­te­ten in Höhe von 500 Mil­lio­nen Euro, die Ein­rich­tung von Inte­gra­ti­ons­zen­tren und die Stär­kung der Ausländerbehörden.

Wir Regens­bur­ger Grü­ne ver­fol­gen eine evi­denz­ba­sier­te Asyl- und Migra­ti­ons­po­li­tik, die auf der Grund­la­ge der uni­ver­sel­len Men­schen­rech­te und rechts­staat­li­cher Prin­zi­pi­en gemein­sam mit Wis­sen­schaft und Zivil­ge­sell­schaft Lösun­gen erar­bei­tet. Unse­re Soli­da­ri­tät gilt den Schutz­su­chen­den und allen, die sich für eine men­schen­rechts­ori­en­tier­te Migra­ti­ons­po­li­tik engagieren.

Wir for­dern die grü­ne Euro­pa­grup­pe auf, aktiv und kon­struk­tiv an deut­li­chen Ver­bes­se­run­gen der GEAS-Reform zu arbei­ten und alles dafür zu tun, damit es im nun anste­hen­den Tri­log­ver­fah­ren zu schritt­wei­sen rea­len Ver­bes­se­run­gen kommt und die im Rat der Innen­mi­nis­ter beschlos­se­ne Aus­höh­lung rechts­staat­li­cher Stan­dards gestoppt wer­den kann. Inner­halb der Bun­des­re­gie­rung for­dern wir eine Auf­ar­bei­tung des Ver­fah­rens der deut­schen Zustim­mung, die klar gegen den Koali­ti­ons­ver­trag stand.

Wir Regens­bur­ger Grü­ne for­dern die Bun­des­re­gie­rung auf, sich im Tri­log­ver­fah­ren gegen die Aus­la­ge­rung unse­rer Ver­ant­wor­tung an Län­der außer­halb der EU, gegen die Aus­wei­tung von „siche­ren Dritt­staa­ten“ und gegen die­se Haft­la­ger, für ein Paket aus Men­schen­rechts­mo­ni­to­ring und ver­bind­li­cher Regis­trie­rung an den Außen­gren­zen ein­zu­set­zen. Für die Außen­grenz­staa­ten braucht es im Gegen­zug eine ver­bind­li­che Ver­tei­lung der Ankom­men­den auf alle Staa­ten des Schen­gen-Raums. Es gilt, noch vor der nächs­ten Euro­pa­wahl zu deut­li­chen Ver­bes­se­run­gen kommen.

Wir for­dern die Grü­nen Mit­glie­der der Bun­des­re­gie­rung auf, die Ergeb­nis­se wis­sen­schaft­lich über­prü­fen zu las­sen und einem Tri­lo­g­er­geb­nis nur dann zuzu­stim­men, wenn dadurch die Situa­ti­on von Geflüch­te­ten an den Außen­gren­zen ver­bes­sert und das gel­ten­de Völ­ker­recht ein­ge­hal­ten wird. Dazu gehört die Ableh­nung der Haft­la­ger sowie einer mas­si­ven Aus­wei­tung des siche­ren Dritt­staa­ten­kon­zepts, eine ver­bind­li­che Ver­tei­lung und bes­se­re Stan­dards bei der Inte­gra­ti­on und in den Asyl­ver­fah­ren. Die Ach­tung der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, der UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on und die inhalt­li­che Prü­fung von Asyl­an­trä­gen nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on müs­sen gewähr­leis­tet sein.“